Von Possenhofen nach Feldafing
Nach der "Glas-Wiese" beginnt der Wald. Auch bei Regenwetter kann eine Radltour ganz lustig sein, vorausgesetzt, man hat an Regenklei-dung gedacht. Sollte der Regen gar nicht mehr aufhören, bietet sich als rettender Ausweg die Fahrt mit dem Dampfer zurück nach Starnberg an. Es heißt entweder umkehren zur Anlegestelle Possenhofen, oder aber durchhalten bis nach Tutzing, der nächsten Gelegenheit, das Schiff zu besteigen. Wir radeln weiter, vorbei an einer unvermutet im Wald auftauchenden steinernen Aussichtsplattform. Der Weg wird abschüssig, linker Hand sind durch das Schilf- und Buschwerk Badehütten zu erkennen. Sie gehören zu den alten Herrschaftshäusern Feldafings. Früher wohnte man "oben" in der Höhenberg- oder Thurn-und-Taxis-Straße, "unten" hatte man seine Badehütte. Das Wohnen direkt am See war damals nicht üblich, aus praktischen Erwägungen. Nicht jeder mag Feuchtigkeit und Nebel in der kühleren Jahreszeit.
Der Buchenwald geht nahtlos über in den Wald aus Masten im Segel-hafen des Fischer-Ehepaares Heidi und Dietmar Goetzke. Schnittige Jachten liegen hier vertäut, eine prächtiger als die andere. Wir kalku-lieren kurz durch, wie viel ein Liegeplatz wohl kosten mag und besin-nen uns schnell wieder auf unsere Drahtesel. Etwas deplaziert fühlt man sich in Radlklamotten ein paar Meter weiter. Im Restaurant "Forsthaus" kommt der Starnberger See mondän daher. Wir stehen plötzlich unter Palmen. Elegant und teuer gekleidete Herrschaften flanieren über die gekieste Uferpromenade, Feldafings "sündige Meile", oder nippen im Garten des Schicki-Micki-Treffpunkts an einem Martini. Die Seele des Unternehmens, der Gastwirt Otto Robl, ist im Jahr 2006 gestorben. Schon seit Jahren betreibt die Familie Graf das Forsthaus.
Eine kleine Geschichte sei zum besten gegeben. An das Forsthaus am See schließt sich rechter Hand eine Wiese an. Im Volksmund heißt sie die "Nackerten-Wiese", weil hier die Hüllen fallen, wenn es heiß wird. Feldafings früherer Bürgermeister Klaus Buchheim grämte sich ob des "Sittenverfalls" und wollte die lockere Gesellschaft in das nahegelege-ne, gemeindeeigene Strandbad verbannen. Als große Hinweisschilder nichts bewirkten, gar als willkommene Kleiderständer zweckentfrem-det wurden, ließ Buchheim die Wiese odeln. Das ländliche Aroma durchdrang aber den vornehmen Forsthausgarten. Sobald sich der Duft verflüchtigt hatte, kehrten die Nackerten wieder, der Konflikt eskalierte. Kurzerhand ließ der Bürgermeister Fichten um die Wiese pflanzen, in drei Reihen, auf dass der Anblick blanker Leiber verdeckt werde. Gegen den "Grüngürtel" schritt jedoch das Landratsamt Starnberg ein und ordnete dessen umgehende Beseitigung an. Er sei untypisch für das Seeufer, hieß es. Der damalige Forsthaus-Wirt Otto Robl sägte den "Bannwald" ab und verkaufte die jungen Fichten - als Christbäume.
Legendär und mindestens so skurril wie in Helmut Dietls Fernsehserie "Kir Royal" waren Robls Festbankette bei Kerzenschein auf der Ro-seninsel. Dinner und Gäste wurden mit dem Motorboot "Sisi" auf das Eiland gebracht. Eines Tages aber verlor Sisi plötzlich eine größere Menge Öl, das nahe Strandbad musste wegen der "Ölpest" kurzfristig schließen. Das war das Ende der bacchantischen Gelage.
Das altmodisch-gemütliche Strandbad Feldafing und seine gute Küche locken zum Verweilen, doch es zieht uns weiter durch den Lenne-Park. 1854 erhielt der berühmte preußische Hofgartengeneraldirektor Peter Joseph Lenne von König Max II. den Auftrag, den Feldafinger Park zu gestalten. Zum 150. Jubiläum des Parks im Jahr 2004 wurden die von Lenne geplanten Sichtschneißen wieder freigelegt. König Maximilian II. wollte im Park ein Sommerschloss errichten. 1862 wurde mit den Arbeiten begonnen. Sie kamen jedoch nicht über die Kellergewölbe hinaus, weil der König 1864 starb. Nachfolger Ludwig II. hatte kein Interesse an dem Schloss und ließ die Ziegelsteine für den Bau der Bahnhöfe Feldafing und Possenhofen verwenden. Die Gewölbe wurden mit Erde gefüllt.
Auf dem Golfplatz, der 1926 eingeweiht wurde, spielte nach dem Zweiten Weltkrieg von 1946 bis 1959 der General und US-Präsident Dwight D. Eisenhower. Heute ziehen die Mitglieder des exklusiven Golfclubs Feldafing über den englischen Rasen der 18-Loch-Anlage. Deshalb ist Vorsicht vor deren Bällen geboten. Wir langen an einem von hohen Platanen umstandenen Rondell an. Das war früher der Wendeplatz für die Kutschen. Hier, vom "Glockensteg" legt die Fähre zur Roseninsel ab. Eine Glocke ruft Fährmann Pohlus, wenn er gerade auf der anderen Seite weilt. Es bietet sich ein herrlicher Blick auf den südlichen See und die Berge. Sie reichen bei guter Sicht von der Benediktenwand zur Linken über das Karwendel bis zum Wetterstein-Gebirge mit der Zugspitze rechts. Im flachen Wasser vor der Roseninsel haben Unterwasserarchäologen 1989 im Schlamm einen Einbaum aus dem 8. oder 9. Jahrhundert vor Christus gefunden.
Ein langer Zaun im Wasser entlang des Ufers erregt die Aufmerksam-keit. Er soll das Schilf schützen, damit es sich wieder regenerieren kann – ein langwieriges Unterfanen. An vielen Stellen des Sees ist der Schilfgürtel leider völlig verschwunden. Ein paar hundert Meter weiter tun sich ein paar idyllische Badeplätze auf. Hier pflegte früher der "Poltergeist vom Starnberger See", Kunstsammler und Boot-Autor Lothar-Günther Buchheim, im Adamskostüm ein Bad zu nehmen. Durch den Ort kutschierte er in einem alten BMW, der heute als Kunstwerk vor dem Buchheim-Museum in Bernried steht.